BETROFFENENBEIRAT REGENSBURG

Wir unterstützen und begleiten Opfer von Missbrauch in der Diözese Regensburg

Buchempfehlung des Monats

Mai

von Richard Nusser

von Richard Nusser

Buchempfehlung

des Monats

Mai

Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht das Feuer.

Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann.

Neu übersetzt aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, München 2023

Schwedische Originalausgabe Stockholm 1984;

deutsche Erstausgabe München 1986.

 

„Eines der großen Werke der Holocaust - Zeugenschaft“ (Daniel Kehlmann)

Triggerwarnung!

 

Die Autorin Cordelia Edvardson (1929 - 2012) ist die uneheliche Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899 - 1950), die, christlich orientiert, als Halbjüdin mit ihren Werken dennoch dem Nationalsozialismus und Hitler nahe stand.

 

Die Autorin C.E. nennt ihr Buch Roman, obwohl es ihre Geschichte ist, die sie in eindrücklicher Klarheit und sprachlicher Kunstfertigkeit erzählt.

Es entsteht ein beklemmender Blick ins Innere der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie aus der Perspektive eines 14jährigen Mädchens, der Autorin. Zugleich ist es eine Geschichte von Mutter und Tochter in schwierigster Zeit.
Von ihren Eltern her ist die Autorin Halbjüdin; obwohl das Mädchen als Halbjüdin einigermaßen geschützt ist, kommt es zu einer entscheidenden Situation zwischen Mutter, Tochter und der Gestapo. Sie soll unterschreiben, dass sie Volljüdin ist, sonst wird ihre Mutter der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Ihre Mutter billigt es, ja verlangt es, und Cordelia unterschreibt. Die Mutter bleibt deshalb weiterhin unangetastet, aber das Mädchen wird in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz gebracht. Diese Zeit der Hölle, die sie dort erwartet, beschreibt sie in unvorstellbarer Eindringlichkeit. „Wer solcher Grausamkeit unterworfen war, hörte darüber auf, als Individuum zu existieren“ (D. Kehlmann).

Die Autorin aber überlebt diese Hölle, und es gelingt ihr, nach dem Krieg in Schweden und Israel ihr Leben zurückzubekommen.

 

Einmal trifft sie ihre Mutter nochmals, als diese von ihr verlangt, ihre Eindrücke aus den KZ ihr genau zu schildern, weil sie diese für einen Roman brauche – eine unglaubliche, gefühllose Umgangsweise mit der eigenen Tochter.

Erst 35 Jahre nach Kriegsende konnte Cordelia Edvardson ihr Buch schreiben. Um Distanz zu sich selbst zu finden, benennt die Autorin sich mit dem Wort „das Mädchen“, nicht mit „ich“. Auch deshalb, weil ihre Geschichte stellvertretend ist für unzählige weitere Kinder, Mädchen und Jungen, in der Terrorzeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Vergangene Empfehlungen

April

Doris Wagner (verh. Reisinger)

Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 2019

 

Die Autorin gehörte nach dem Abitur acht Jahre der „Geistlichen Familie Das Werk“ an. Auf der Basis eigener Erfahrungen aus dieser Zeit und mit vielfältigen Schilderungen von Betroffenen behandelt sie das Thema Spiritualität in allen Aspekten.

 t Theologie und Philosophie studiert, wurde promoviert, ist an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland tätig und veröffentlicht Bücher und Aufsätze zum Thema Missbrauch. Bekannt wurde sie durch ein live übertragenes Gespräch mit dem Wiener Kardinal Schönborn über ihre Missbrauchsgeschichte.

Im ersten Abschnitt ihres Buches definiert die Autorin den Begriff Spiritualität, grenzt ihn von Esoterik genau ab und sieht in Spiritualität vor allem das Bedürfnis des Menschen nach Sinn: Spiritualität ist Sinnstiftung; das ist die Fähigkeit, Dingen und allem eine Bedeutung zu geben.

Spiritualität ist weder unbedingt religiös noch irrational, sondern ist zentraler Teil des denkenden und fühlenden Menschen.  Der Mensch soll spirituell selbst bestimmt und handlungsfähig sein. Jedoch ist nicht jeder Mensch fähig, sich alle Ressourcen der Spiritualität zu erschließen; er braucht Hilfe. Genau hier kann sich aber ein Einfallstor für Missbrauch auftun. Die Autorin beschreibt drei Formen von geistlichem Missbrauch: Spirituelle Vernachlässigung – spirituelle Manipulation – spirituelle Gewalt; dazu gehören dann auch verschiedene Formen einer schlimmen Ausbeutung.

Wichtig ist nun: Wie kann man spirituellen Missbrauch erkennen und wie kann man sich davor schützen. Doris Reisinger nennt als grundlegende Fähigkeit die spirituelle Selbstbestimmung, die es ermöglicht, ohne Autoritäten und Zwängen die Sinnfindung und Sinngebung im eigenen Leben autonom vornehmen zu können.In einem Schlussteil wird der Umgang der Kirche mit Spiritualität erläutert und die Gefahren werden aufgezeigt, die sich aus dem autoritären Selbstverständnis und Machtbewusstsein der Kirchenvertreter ergeben können.

Die Zitate von Betroffenen, mit denen Frau Reisinger ihre Darstellung erläutert und illustriert, sind erschütternd und unvorstellbar. Dieser dadurch hergestellte Perspektivenwechsel führt zur erwünschten Klarheit beim Leser.


„Es ist die Macht der Opfer, nicht länger zu schweigen.“ Carolin Emcke

Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht das Feuer.

Mit einem Nachwort von Daniel Kehlmann.

Neu übersetzt aus dem Schwedischen von Ursel Allenstein, München 2023

Schwedische Originalausgabe Stockholm 1984;

deutsche Erstausgabe München 1986.

 

„Eines der großen Werke der Holocaust - Zeugenschaft“ (Daniel Kehlmann)

Triggerwarnung!

 

Die Autorin Cordelia Edvardson (1929 - 2012) ist die uneheliche Tochter der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer (1899 - 1950), die, christlich orientiert, als Halbjüdin mit ihren Werken dennoch dem Nationalsozialismus und Hitler nahe stand.

 

Die Autorin C.E. nennt ihr Buch Roman, obwohl es ihre Geschichte ist, die sie in eindrücklicher Klarheit und sprachlicher Kunstfertigkeit erzählt. Es entsteht ein beklemmender Blick ins Innere der nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie aus der Perspektive eines 14jährigen Mädchens, der Autorin. Zugleich ist es eine Geschichte von Mutter und Tochter in schwierigster Zeit.

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Von ihren Eltern her ist die Autorin Halbjüdin; obwohl das Mädchen als Halbjüdin einigermaßen geschützt ist, kommt es zu einer entscheidenden Situation zwischen Mutter, Tochter und der Gestapo. Sie soll unterschreiben, dass sie Volljüdin ist, sonst wird ihre Mutter der Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. Ihre Mutter billigt es, ja verlangt es, und Cordelia unterschreibt. Die Mutter bleibt deshalb weiterhin unangetastet, aber das Mädchen wird in die Konzentrationslager Theresienstadt und Auschwitz gebracht. Diese Zeit der Hölle, die sie dort erwartet, beschreibt sie in unvorstellbarer Eindringlichkeit. „Wer solcher Grausamkeit unterworfen war, hörte darüber auf, als Individuum zu existieren“ (D. Kehlmann).

Die Autorin aber überlebt diese Hölle, und es gelingt ihr, nach dem Krieg in Schweden und Israel ihr Leben zurückzubekommen.

 

Einmal trifft sie ihre Mutter nochmals, als diese von ihr verlangt, ihre Eindrücke aus den KZ ihr genau zu schildern, weil sie diese für einen Roman brauche – eine unglaubliche, gefühllose Umgangsweise mit der eigenen Tochter.

Erst 35 Jahre nach Kriegsende konnte Cordelia Edvardson ihr Buch schreiben. Um Distanz zu sich selbst zu finden, benennt die Autorin sich mit dem Wort „das Mädchen“, nicht mit „ich“. Auch deshalb, weil ihre Geschichte stellvertretend ist für unzählige weitere Kinder, Mädchen und Jungen, in der Terrorzeit des Nationalsozialismus in Deutschland.

Vergangene Empfehlungen

April

Doris Wagner (verh. Reisinger)

Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg 2019

 

Die Autorin gehörte nach dem Abitur acht Jahre der „Geistlichen Familie Das Werk“ an. Auf der Basis eigener Erfahrungen aus dieser Zeit und mit vielfältigen Schilderungen von Betroffenen behandelt sie das Thema Spiritualität in allen Aspekten.

 t Theologie und Philosophie studiert, wurde promoviert, ist an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland tätig und veröffentlicht Bücher und Aufsätze zum Thema Missbrauch. Bekannt wurde sie durch ein live übertragenes Gespräch mit dem Wiener Kardinal Schönborn über ihre Missbrauchsgeschichte.

Im ersten Abschnitt ihres Buches definiert die Autorin den Begriff Spiritualität, grenzt ihn von Esoterik genau ab und sieht in Spiritualität vor allem das Bedürfnis des Menschen nach Sinn: Spiritualität ist Sinnstiftung; das ist die Fähigkeit, Dingen und allem eine Bedeutung zu geben.

Spiritualität ist weder unbedingt religiös noch irrational, sondern ist zentraler Teil des denkenden und fühlenden Menschen.  Der Mensch soll spirituell selbst bestimmt und handlungsfähig sein. Jedoch ist nicht jeder Mensch fähig, sich alle Ressourcen der Spiritualität zu erschließen; er braucht Hilfe. Genau hier kann sich aber ein Einfallstor für Missbrauch auftun. Die Autorin beschreibt drei Formen von geistlichem Missbrauch: Spirituelle Vernachlässigung – spirituelle Manipulation – spirituelle Gewalt; dazu gehören dann auch verschiedene Formen einer schlimmen Ausbeutung.

Wichtig ist nun: Wie kann man spirituellen Missbrauch erkennen und wie kann man sich davor schützen. Doris Reisinger nennt als grundlegende Fähigkeit die spirituelle Selbstbestimmung, die es ermöglicht, ohne Autoritäten und Zwängen die Sinnfindung und Sinngebung im eigenen Leben autonom vornehmen zu können.

In einem Schlussteil wird der Umgang der Kirche mit Spiritualität erläutert und die Gefahren werden aufgezeigt, die sich aus dem autoritären Selbstverständnis und Machtbewusstsein der Kirchenvertreter ergeben können.

Die Zitate von Betroffenen, mit denen Frau Reisinger ihre Darstellung erläutert und illustriert, sind erschütternd und unvorstellbar. Dieser dadurch hergestellte Perspektivenwechsel führt zur erwünschten Klarheit beim Leser.


„Es ist die Macht der Opfer, nicht länger zu schweigen.“ Carolin Emcke

März

Claire Keegan, Kleine Dinge wie diese, 2022

Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

 

Die irische Autorin Claire Keegan (geb. 1968) erzählt von einem Kohlenhändler, der durch harte Arbeit seiner Familie mit Frau und Töchtern ein gutes Auskommen erwirtschaftet. Er beliefert auch das im Ort ansässige Nonnenkloster. An einem Wintertag 1985 findet er beim Kohleliefern ein Mädchen, ängstlich, frierend, hungernd, in einem Schuppen eingesperrt. Sie erzählt ihm von ihrer schlimmen Situation im Kloster. Die Nonnen haben ihr das neugeborene Kind weggenommen, täglich muss sie in der Klosterwäscherei, der sogenannten Magdalenenwäscherei, über die Maßen hart arbeiten und wird ausgebeutet. Wer sich nicht an die strengen Regeln hält oder fliehen will, wird hart bestraft wie sie jetzt.

Der Mann will ihr helfen und führt sie ins Kloster, aber die Oberin leugnet alles, was erzählt wird. Er bemerkt die Macht der Kirche und ihren Einfluss auf die Menschen. Der Kohlenhändler ist sich bewusst, dass er der jungen Frau helfen muss gegen die Nonnen und die Kirche, aber zugleich weiß er, dass dies Auswirkungen auf sein Geschäft, auf seine Familie und ihn selbst haben wird in dieser von der Kirche abhängigen Gesellschaft.

Diese tiefe Gewissensnot des Mannes thematisiert die Autorin ohne direkt polemisierende Anklage gegen die Kirche, aber mit eindringlichen Hinweisen auf die von der Kirche ausgehenden Zwangs- und Missbrauchssituationen. Bei dem endgültigen Entschluss des Mannes, dem Mädchen zu helfen, stößt er auf seine eigene Geschichte.

Ein eindringlicher Roman, der in seiner erzählerischen Einfachheit zutiefst berührt.


Die englische Verfilmung dieses Romans Small Things like These startete 2024 die Berlinale.

Regie: Tim Mielants, Hauptdarsteller: Cillian Murphy

März

Claire Keegan, Kleine Dinge wie diese, 2022

Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser

 

Die irische Autorin Claire Keegan (geb. 1968) erzählt von einem Kohlenhändler, der durch harte Arbeit seiner Familie mit Frau und Töchtern ein gutes Auskommen erwirtschaftet. Er beliefert auch das im Ort ansässige Nonnenkloster. An einem Wintertag 1985 findet er beim Kohleliefern ein Mädchen, ängstlich, frierend, hungernd, in einem Schuppen eingesperrt. Sie erzählt ihm von ihrer schlimmen Situation im Kloster. Die Nonnen haben ihr das neugeborene Kind weggenommen, täglich muss sie in der Klosterwäscherei, der sogenannten Magdalenenwäscherei, über die Maßen hart arbeiten und wird ausgebeutet. Wer sich nicht an die strengen Regeln hält oder fliehen will, wird hart bestraft wie sie jetzt.

Der Mann will ihr helfen und führt sie ins Kloster, aber die Oberin leugnet alles, was erzählt wird. Er bemerkt die Macht der Kirche und ihren Einfluss auf die Menschen. Der Kohlenhändler ist sich bewusst, dass er der jungen Frau helfen muss gegen die Nonnen und die Kirche, aber zugleich weiß er, dass dies Auswirkungen auf sein Geschäft, auf seine Familie und ihn selbst haben wird in dieser von der Kirche abhängigen Gesellschaft.

Diese tiefe Gewissensnot des Mannes thematisiert die Autorin ohne direkt polemisierende Anklage gegen die Kirche, aber mit eindringlichen Hinweisen auf die von der Kirche ausgehenden Zwangs- und Missbrauchssituationen. Bei dem endgültigen Entschluss des Mannes, dem Mädchen zu helfen, stößt er auf seine eigene Geschichte.

Ein eindringlicher Roman, der in seiner erzählerischen Einfachheit zutiefst berührt.


Die englische Verfilmung dieses Romans Small Things like These startete 2024 die Berlinale.

Regie: Tim Mielants, Hauptdarsteller: Cillian Murphy

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